Fan Fiktion “Josh & Tom – Prequel einer Liebe” geschrieben von Katharina Wolf

Überraschung!

Wir haben uns gedacht, um euch ein bisschen Motivation für den Wettbewerb zu geben, zeigen wir euch mal eine Fan Fiktion zu einem Amrûn Buch! Nämlich hat Katharina Wolf vor ein paar Jahren eine Gay-Romance Geschichte zu “Josh & Emma” (von Sina Müller) geschrieben! Was würde also besser zur Aktion passen, als diese Geschichte? Nichts! Deshalb haben die beiden Autorinnen sich gedacht: Zeigen wir sie doch mal!

Diese Geschichte ist natürlich kein Bestandteil des Wettbewerbs und somit auch außer Konkurrenz!


Um welches Buch geht es?

Die Fan Fiktion handelt von Josh & Tom, zwei Männer die in Sina Müllers Debüt-Roman “Josh & Emma” vorkommen.

Klappentext Band 1 – Soundtrack einer Liebe

Als Emma den Popstar Joshua kennenlernt, steht ihr gesamtes Leben plötzlich Kopf. Schnell merkt sie, dass die Liebe zwei Seiten hat – eine wunderschöne und eine schmerzvolle.
Gefangen zwischen Blitzlichtgewitter und Privatleben kämpfen die beiden für eine gemeinsame Zukunft. Doch ist im Alltag eines Stars Platz für die große Liebe?

Klappentext Band 2 – Portrait einer Liebe

Die Zeit heilt selbst die tiefsten Wunden. Aber ein Jahr ist nicht genug …

Als Josh und Emma erneut aufeinander treffen, merken sie, dass das Herzklopfen noch immer da ist.
Der Start ins neue Leben scheint perfekt, doch dann holt ein Fehltritt aus der Vergangenheit die beiden ein und Emmas Leben steht wieder einmal Kopf.


Wie enstand die FF?

Josh & Emma war damals mein aller-aller-erster Roman vom Amrûn Verlag und ich war sofort ein riesengroßer Fan von Sina Müller! Mit der Zeit wurden wir auch Freunde und ich hatte Lust eine Fan Fiktion zu Josh & Tom zu schreiben. Erst mal schrieb ich drauf los und dann bekam Sina die Geschichte als Geburtstaggeschenk. Ich habe es ihr damals sogar drucken lassen.

– Katharina Wolf

 


Gewinnspiel!

Wir verlosen passend dazu ein Taschenbuch zu “Josh & Emma – Soundtrack” (Band 1) einer Liebe mit wundervollen Goodies!

Was ihr dafür tun müsst? Verratet uns, wie ihr die Fan Fiktion fandet und beantwortet folgende Frage:

“Mit wem ist Inga verwandt?”

Kommentiere unter diesem Beitrag, wenn du an dem Gewinnspiel teilnehmen möchtest. Einsendeschluss ist Sonntag, der 16.9.18 um 23:59 Uhr und der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Du musst 18 Jahre alt sein oder die Einverständnis deiner Eltern haben. Teilnahme nur mit Wohnsitz innerhalb Deutschland, Österreich und Schweiz. Wir werden deinen Namen im Gewinnfall öffentlich bekanntgeben.


Die Fan Fiktion

Josh & Tom – Prequel einer Liebe von Katharina Wolf

»Boar alter, Josh … wie viele Leute waren das eben?«  Tom wischte sich den Schweiß mit dem Handrücken von der Stirn und strahlte mich mit leuchtenden Augen an. Ich konnte seine Euphorie mehr als nachvollziehen. Sie strömte auch mir aus allen Poren und machte mich unruhig und zappelig.

»Ich weiß nicht … so dreitausend oder mehr?« Der Gig war, um es kurz zu sagen, der Hammer gewesen. Ich war immer noch wie in Trance. Manchmal konnte ich es einfach nicht glauben, dass die alle wegen uns hier herkamen. Sie hatten sogar Geld dafür bezahlt, Amblish live zu sehen. So viele Menschen. Zig Plakate wurden hochgehoben, auf denen mein Name stand. Meist mit irgendwelchen anzüglichen Sprüchen. ›Josh, ich will ein Kind von dir‹, ›Josh, du geile Sau‹, ›Bums mich Josh‹. Alles schon gesehen. Auch heute wurden wieder unendlich viele Kuscheltiere und Liebesbriefe auf die Bühne geworfen. Außerdem hatte sich die Presse im Fotografengraben direkt vor der Bühne fast überschlagen … das war alles zu viel. Deshalb standen wir nach einem Auftritt auch meist erst mal schweigend jeder für sich im Backsagebereich. Wir versuchten, unsere Gedanken zu ordnen, klar im Kopf zu werden. Alle mit einem Handtuch um den Nacken gewickelt und einem kühlen Bier an den Lippen.

»Um genau zu sein, waren es fünftausend Zuschauer. Die Halle war ausverkauft. Glückwunsch, Jungs!« Carol, unsere Managerin und biestige Kindergärtnerin, war ungewöhnlich gut gelaunt. Normalerweise verglichen wir sie gerne mit einem Drachen, nur mit noch weniger Geduld und mehr Zerstörungswut. Wirklich, die Frau war die Hölle, aber sie hatte es in Sachen Marketing und Management einfach drauf. Deshalb ertrugen wir sie, denn sie brachte uns weiter. Solche Auftritte wie der hier waren der Beweis für ihre gute Arbeit. Doch nun lächelte sie uns an, weswegen wir sie skeptisch musterten. Irgendetwas stimmte nicht. Das Ganze hatte doch einen Haken. Freundlichkeiten von Carol gab es nicht umsonst. Hatte es noch nie gegeben.

»Carol, hast du uns vielleicht was zu sagen?«, mischte sich nun Marc ein, der sich bis eben im Hintergrund gehalten hatte. Manchmal bewunderte ich seine Seelenruhe.

»Nur gute Nachrichten. Freut euch! Morgen gebt ihr ein Radiointerview, und zwar live. Zur Primetime!«

Zur Primetime? Das war doch hoffentlich nicht ihr Ernst. Nik jubelte kurz auf, dann schnallte auch er, was das bedeutete.

»Och nö, Carol, muss das sein? Du weißt genau, dass wir heute Abend alle auf eine Party wollten.« Er stemmte die Fäuste in die Seite und machte ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter.

»Könnt ihr ja», gab sie schnippisch zurück. »Ich sag ja nichts dagegen.«

»Wann müssen wir morgen denn auf der Matte stehen«, fragte ich leicht resignierend. Ich hatte keinen Bock auf die Scheiße, aber gegen Carol war alles andere aussichtslos. Wir hatten uns auf die Party und auf die wohlverdiente Auszeit gefreut. Und um ehrlich zu sein, hatten wir sie uns auch verdient. Immerhin arbeiteten wir nun schon monatelang ohne Unterbrechung. Sind von einem Interview zum nächsten gesprintet, von Konzerten, zu Proben, zum Tonstudio und wieder zurück. Ohne auch nur eine verfickte Pause. Einfach mal entspannen, mehr wollten wir doch gar nicht. Und das hatte uns Carol verdammt noch mal versprochen. Allerdings wusste ich auch, was Primetime beim Radio bedeutete.

»In der Morningshow … um 7 sieben werdet ihr erwartet.« Ein Stöhnen hallte durch den Backstagebereich. Carol war der Teufel. Erst versprach sie uns Freizeit und dann sowas. Super-Gau!

»Carol, du bist dir darüber im Klaren, dass meine Frau extra aus Freiburg angereist ist, weil ich endlich etwas Zeit mit ihr verbringen wollte?« Marc fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen und seufzte theatralisch. Carol antwortete nicht und schaute ihn nur mit hochgezogener Augenbraue an. Ganz nach dem Motto »Und wessen Problem ist das jetzt?«

»Das ist einfach scheiße, Carol!« Ich konnte Marc verstehen. Lisa war mit ihrer Schwester zu uns nach Berlin gefahren. Achthundert Kilometer. Die beiden hatten sich schon fast fünf Wochen nicht mehr gesehen und freuten sich auf ihre wohlverdiente gemeinsame Freizeit. Und die wurde jetzt schon wieder verkürzt, da wir heute Abend alle früh ins Bett mussten. Wie Kleinkinder. Zum Glück hatte sonst keiner von uns eine feste Beziehung. Und das war auch gut so. Nur Lucky tippte ab und an heimlich eine SMS oder verzog sich zum Telefonieren in ein anderes Zimmer. Er gab nicht allzu viel von sich preis und ich würde mich in seine Angelegenheiten auch nicht einmischen. Das war nicht meine Art.

Marc seufzte und öffnete sich noch ein kühles Bier. Er hatte wohl eingesehen, dass es keinen Sinn hatte zu nörgeln. Carol hatte das Sagen und eigentlich war das ja auch gut so, weil sie Ahnung hatte und wir nicht. So einfach war das.

»Lass uns trotzdem Party machen, okay Josh? Im Radio ist es ja scheißegal, ob wir Augenringe haben und nach Alkohol stinken.« Tom flüsterte, damit Carol nichts von seinen Plänen mitbekam. Ich musste grinsen und boxte ihm spielerisch mit der Faust gegen die Schulter.

»Klar Mann, wir lassen’s richtig krachen!«

 

Wir beide waren am Ende leider die Einzigen, die Lust auf Party hatten. Alles Pussys. Marc wollte die freie Zeit lieber mit Lisa für ein paar wenige Stunden der Zweisamkeit nutzen. Wahrscheinlich wollte der Gute einfach was gegen seinen Samenstau tun. Konnte ich nachvollziehen. Lucky und Nik waren Pizza essen gegangen und hatten vor, früh schlafen gehen.

Tja, Tom hatte ein besseres Rezept, um fit zu sein und vor allem fit zu bleiben. Oder wie er so oft zu sagen pflegte: Schlafen konnte man noch, wenn man tot war.

»Hast du was dabei?», fragte ich leise mit vorgehaltener Hand. Dabei wäre das Flüstern gar nicht nötig gewesen, da die Musik im Club so laut wummerte, dass man es noch bis zum Ende der Straße hören konnte. Unangenehme Electro-Beats. Eigentlich nicht mein Ding.

»Klaro Mann, hier ein bisschen gute Stimmung aus der Tüte, quasi to-go.« Er kramte ein kleines Plastikpäckchen aus der Hosentasche und ich erkannte weißes Pulver.

»Kokain?« Meine Unwissenheit war mir manchmal schon etwas peinlich. Aber ich hatte vor der Zeit mit Amblish nie etwas mit Drogen am Hut gehabt. Erst als der Stress mit der Band immer schlimmer wurde, hatten wir es ab und an einfach nötig. Abschalten. Nicht mehr nachdenken. Es gab Nächte, in denen ich schlecht oder gar nicht schlafen konnte, weil mir viel zu viel durch den Kopf ging. Ein kleiner Joint konnte da Wunder wirken. Naja, und wenn man nach einem anstrengenden Auftritt wieder Energie brauchte, dann gab es dafür eben auch die richtigen Aufputschmittel.

»Zumindest ist es kein Puderzucker, mein junger Padawan«, er zwinkerte mir verschwörerisch zu und ging dann zielsicher in Richtung Toilette. Ich folgte ihm. Auf gute Stimmung aus der Tüte hatte ich tatsächlich Lust.

Auf der Herrentoilette angekommen, schlossen wir uns beide in eine Kabine ein und Tom kniete sich vor die Kloschüssel.

»Soll ich dir die Haare halten?« Den Spruch konnte ich mir nicht verkneifen. Es erinnerte mich an die letzte Party, als ich einem Fan tatsächlich behilflich sein musste, da sie sich nach einigen Tequilas übergeben musste.

»Haha, Josh, bist echt der Brüller …« Seine Stimme troff vor Sarkasmus und wurde nur von dem ausgestreckten Mittelfinger in meine Richtung noch übertroffen. Er kramte in der hinteren Tasche seiner Jeans und zauberte einen kleinen Handspiegel hervor, den er vor sich auf den zugeklappten Klodeckel ablegte.

»Noch schnell ne Lage Mascara auflegen, oder was?« Ich prustete los und boxte Tom gegen die Schulter.

»Alter, Josh, hast du nen verfickten Clown gefrühstückt, oder was? Woher weißt du überhaupt, was Mascara ist? Schwul oder was?« Er schüttelte den Kopf und bröselte, ohne mich weiter zu beachten, etwas von dem weißen Pulver auf die glatte Spiegeloberfläche. Dann zerkleinerte er alles mit seiner goldenen Kreditkarte. Der Poser. Mich konnte er damit tatsächlich beeindrucken. Tom machte das wie ein Profi. Wie oft er sich wohl Drogen präparierte?

Nach einer Weile sah ich zwei Koks-Linien. Eine dünne und eine etwas dickere. Mit einem kleinen Rohr, das er nun aus seiner anderen Hosentasche hervorzauberte, sniefte er die breite Linie ohne zu zögern weg. Dann hielt er mir das Rohr entgegen.

»Macht man das nicht normalerweise mit einem Hundert-Euro-Schein?«

»Bäh, weißt du, wie unhygienisch das ist?« Ich schaute ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an und wischte das Röhrchen an meinem Hemdsärmel ab. Von Tom erntete ich daraufhin nur ein Augenverdrehen. Der redete hier von Hygiene … dass ich nicht lache. Ich kniete mich neben ihn auf die versifften Bodenfliesen und zog mir ohne abzusetzen die andere Linie in die Nase. Das Gefühl war ekelhaft. Ich hielt mir das andere Nasenloch zu und versuchte mehrmals verzweifelt das Pulver hochzuziehen. Es fühlte sich an, als würde mir ein riesiger Drogenklumpen in den Nebenhöhlen kleben.

»Fuck, ist das eklig!« Mir liefen mittlerweile schon Tränen die Wangen hinab. Tom zuckte nur mit den Achseln.

»Man gewöhnt sich dran …«

Na toll.

Ich verließ die Kabine und betrachtete mich im Spiegel. Was ich dort sah, gefiel mir nicht. Ich war mir noch nie so fremd vorgekommen. Eine wandelnde Leiche mit Markenklamotten, wirrem braunen Haar und einigen weißen Pulver-Flecken an der Nasenspitze. Ich sah scheiße aus. Punkt. Da brauchte man nichts schönzureden. Schnell fuhr ich mir mit dem Handrücken über die Nase und trank einen Schluck Leitungswasser. In Sachen Kokain war ich lange nicht so erfahren wie Tom. Aber simples Kiffen genügte mir leider nicht mehr.

»Los Josh!« Ich spürte Toms Faust, die mir auffordernd gegen die Schulter boxte. »Party und Weiber aufreißen, als ob es kein Morgen gäbe!« Ich grinste und gab ihm ein High-Five. Kokain war schon eine geniale Droge. Vor 15 Sekunden hatte ich mir noch Gedanken gemacht. Jetzt wusste ich nicht mal mehr warum und über was.

Sorgen? Hatte ich keine.

Probleme? Bei mir doch nicht.

Angst? War mir fremd.

Alles war gut und ich hatte den unbändigen Drang zu tanzen.

 

Die Party ließ sich mit einem Wort zusammenfassen: Eskalation! Im Nachhinein kann ich nicht mal mehr sagen, was wir uns in dieser Nacht reingezogen hatten. Wir koksten, schluckten irgendwelche Pillen und tranken dazu Longdrinks, deren Alkohol wir weder schmeckten noch spürten. Wir tanzen mit wildfremden Mädels, lachten viel, machten uns zum Affen. Wir waren die Helden hier in diesem Club. Alle sahen zu uns auf. Beneideten und bewunderten uns.

Alles war gut.

Alles war leicht und fühlte sich richtig an.

Dachten wir …

 

 

Als ich am nächsten Morgen die Augen aufschlug, war ich der festen Überzeugung, dass ich sterbe. Mir tat alles weh. Wirklich alles. Sogar meine Haare schmerzten erbarmungslos. Ich fuhr mir mit den Händen über mein Gesicht und rieb mir meine verkrusteten Augen.

Was zur Hölle war geschehen und wo war ich? Das Zimmer war mir fremd. Ein Hotel?

Rechts neben mir bewegte sich etwas. Ich erschrak. Ich erblickte blondes, langes Haar und eine leicht gebräunte, nackte Schulter. Der Rest ihres Körpers war noch von einem weißen Laken bedeckt. Ich seufzte leise. Etwa schon wieder ein Groupie? Wenn ich wenigstens wüsste, was in der vergangenen Nacht passiert war und ob es sich gelohnt hatte …  So war es einfach nur ein weiterer unnötiger One-Night-Stand mit einer unbedeutenden Person, die ich schon in wenigen Minuten aus meinem Leben streichen würde. Ich hasste das. Es langweilte mich. Ich konnte mich ja nicht mal an den Sex erinnern. Was hatte das Ganze dann überhaupt für einen Sinn? Gar keinen. Es war schlichtweg sinnlos, was ich hier tat. Es war unvernünftig, unbefriedigend und verdammt fahrlässig.

Das war der Moment, in dem ich merkte, dass mir die Drogen fehlten. Nach einem High kam immer ein Down, und wenn man dann nicht stark blieb und dem Drang widerstand, rutschte man schneller in eine Sucht als man »keine Macht den Drogen« sagen konnte.

»FUCK!«

Ich erschrak schier zu Tode und sprang auf. Der laute Ausruf kam von einer Person links neben mir, die mir bis eben noch nicht aufgefallen war.

»Was zum …?» Ich konnte den Satz nicht zu Ende sprechen, da spürte ich auch schon Toms Faust, die brutal und ohne Vorwarnung auf meiner Nase landete.

»Du Vollarsch! Was hast du mit mir gemacht?«

»Alter, Tom … hast du nen Schaden?« Ich hielt mir meine Nase und funkelte ihn wütend an. Blutete ich etwa? »Ich hab kein Plan, was passiert ist, was haben wir gestern eigentlich alles genommen?« Ich betrachtete meine Finger. Kein Blut. Was ein Glück. Eine geschwollene, dicke Nase kam bei meinen Fans garantiert nicht gut an.

»Alter, Josh!« Tom flüsterte nun und hatte die Augen entsetzt weit aufgerissen »Haben wir?« Er ließ seinen Zeigefinger immer wieder zwischen uns hin und her wandern. Und plötzlich traf mich die Erkenntnis. Und zwar mit voller Wucht und unerbittlich.

»Wir?« Meine Stimme hörte sich piepsig an. Das konnte doch nicht sein Ernst sein! Er zog eine Augenbraue hoch und versuchte seine Blöße notdürftig mit der Bettdecke zu verdecken. Wir waren beide nackt. So viel war sicher.

Tom und ich? Sex?

Nein.

Niemals.

Oder?

Je länger ich versuchte, mich an den gestrigen Abend und die darauffolgende Nacht zu erinnern, desto stärker wurden meine Kopfschmerzen. Außerdem machte sich mein Magen bemerkbar. Mir war schlecht. Und trotzdem blitzten auf einmal ein paar Bilderfetzen in meinem pochenden Kopf auf. Bilder, die sich garantiert nicht ohne Grund in mein Hirn genistet hatten. Kurze Szenen. Zusammenhanglos.

Tom?

Oh Gott. Was hatten wir nur getan?

»Okay Tom, keine Panik.« Meine Stimme klang ruhiger, als ich mich fühlte. Innerlich war ich kurz davor auszurasten. »Ist bei dir alles okay? Also … ähm … wie …?« Diese Situation war so scheiße, meine Handflächen waren schweißnass.

»Josh, mein Arsch tut weh!«

»Fuck!«

Tom hatte einen so erbärmlichen Gesichtsausdruck, dass er mir wirklich leidtat. Ich hätte ihn ja gerne irgendwie aufgemuntert, ihm auf die Schulter geklopft oder so. Aber um ehrlich zu sein, hatte ich gerade unglaubliche Hemmungen, ihn anzufassen. Er würde mir glatt noch eine reinhauen. Zu Recht. Verdammt, wir waren beide immer noch nackt. Wir lagen in einem Bett in irgendeinem Hotelzimmer. Wie krank war das denn bitte?

»Ich nehm nie wieder was!« Tom sackte immer mehr in sich zusammen und versteckte sein Gesicht in seinen Händen. Und nun?

»Regt euch doch mal ab, ist doch nichts dabei.« Wir schraken beide zusammen und schauten zu der Frau, die bis eben noch schlafend neben uns gelegen hatte.

»Inga?» Wir riefen ihren Namen gleichzeitig aus. Oh Gott, bitte nicht Inga! Nicht sie. Nicht Lisas Schwester.

»Inga, du? Was zur Hölle …?« Inga beachtete unsere hysterischen Ausrufe nicht, sondern band sich in aller Seelenruhe ihr langes blondes Haar zurück. Dann wandte sie sich uns zu.

»Ich hätte ein wenig mehr von euch Rockstars erwartet. Was seid ihr denn so panisch? Ich dachte, ihr treibt es andauernd mit irgendwelchen Weibern …«

»Aber doch nicht mit der Schwägerin von Marc, verdammt!« Das war mein Ende! Marc würde mich killen. Mein Tod war so sicher wie das Amen in der Kirche.

»Alter, und nicht miteinander … das ist übel … das ist echt übel!« Tom schüttelte immer wieder den Kopf und seufzte einmal laut und resignierend auf.

»Ihr seid echt unangenehm unentspannt.« Sie stand auf und lief nackt, wie Gott sie schuf, in Richtung Badezimmer. Zumindest vermutete ich, dass sich hinter dieser Tür das Bad befand. Denn dieses Hotelzimmer war mir gänzlich fremd.

Dann herrschte Schweigen.

Im Nebenzimmer begann das Wasser zu rauschen und Tom und ich saßen einfach nur nebeneinander. Jeder hing seinen Gedanken nach. Keiner wagte es, sich zu rühren.

Knapp zehn Minuten später öffnete sich die Badezimmertür ein weiteres Mal und Inga trat heraus. Angezogen, mit nassen Haaren, die sie sich gerade mit einem großen, weißen Handtuch abtrocknete.

»Gott, stellt ihr euch an … ich mach mich dann mal auf den Weg.«

»Inga, kannst du dich an alles erinnern?« Tom hatte einen flehenden Gesichtsausdruck. Hoffentlich würde er nicht gleich anfangen zu heulen. Das würde mich vollends überfordern. Die Situation war doch schon kompliziert genug!

»Klar kann ich mich an alles erinnern.« Sie zwinkerte Tom zu und schlüpfte dann in ihre braunen Lederstiefel.

»Haben wir … also ist zwischen mir und Josh …« Sein Gestottere nervte mich. Mein Kopf drohte auch so schon zu explodieren. Inga rollte mit den Augen und stöhnte.

»Tom, mach dir einfach nicht so nen Kopf und bleib locker. Keine Angst. Ich geh schon nicht damit an die Presse!«

Oh Gott, die Presse! Wenn die davon erfuhr, dann wäre das ein Skandal. Carol würde uns töten, also gleich, nachdem Marc mich skalpiert hatte.

»Inga, bitte sag auch Lisa nichts. Bitte. Marc killt uns!«

»Keine Angst, ich habe auch keine Lust auf Stress mit den beiden. Marc führt sich manchmal auf, als wäre er mein Bruder. Naja, ihr zwei Süßen, man sieht sich.» Sie winkte uns nochmal zum Abschied zu, dann war sie weg und hinterließ zwei vollkommen verwirrte Jungs, die noch immer nackt auf einem Doppelbett saßen.

»Fuck!«

Wir schreckten schon wieder zusammen. Irgendwo vibrierte etwas und Tom sprang hastig auf, um in einem Jeans-Knäuel auf den Fußboden nach seinem Handy zu suchen. Leider tat er das etwas zu überstürzt. Er stolperte, klammerte sich an einem Stuhl fest und fiel mit diesem der Länge nach hin. Ich konnte mir mein Lachen nicht verkneifen.

»Halts Maul, Josh! Nur wegen dir blödem Wichser tut mir alles weh, ey!« Tom erhob sich langsam und zitternd wie ein Achtzigjähriger. Mit schmerzverzerrtem Gesichtsausdruck rieb er sich seinen Steiß. »Was hast du mit mir gemacht, du kranker Idiot?« Ich prustete los. Selbst wenn ich versuchen wollte, mein Lachen zurückzuhalten, es ging nicht. Tom sah zu komisch aus. Außerdem mussten da noch Reste meines seltsamen Drogen- und Alkoholcocktails in meinem Blut herumschwimmen. Ich presste beide Hände auf meinen Mund und versuchte mich selbst zum Schweigen zu bringen. Joshua, reiß dich zusammen. Mir entwich ein Grunzen. Daraufhin folgte ein eisiger Blick von Tom. Eigentlich war das alles gar nicht lustig. Ganz im Gegenteil! Aber meinem Körper war das egal.

Tom hob leise vor sich hin fluchend seine Hose auf und suchte in den Taschen nach dem Handy. Zum Vorschein kamen sein Snief-Rohr, der Handspiegel und ein leeres Tütchen.

»Alter, haben wir das alles weggekokst?» Er sagte es mehr zu sich selbst, aber auch mich hatte der Anblick soeben verstört. Tom schüttelte den Kopf, zog sein Handy aus einer der Taschen und lugte auf das leuchtende Display. »Scheiße, Carol!» Er drückte auf den grünen Hörer und hielt sich das Gerät ans Ohr. »Ja?»

Selbst auf der anderen Seite des Zimmers konnte ich sie brüllen hören.

»Was? Ja, Carol. Ja …« er ließ seinen Kopf genervt in den Nacken fallen. »Das Radiointerview haben wir natürlich nicht vergessen …«

Und wie wir das Interview vollkommen vergessen hatten! Scheiße!

»Wo wir sind?« Er schaute sich im weiß gestrichenen Zimmer um und zog die Augenbrauen skeptisch zusammen. Ich entdeckte einen Notizblock auf dem Nachttisch. Auf dem Kopf des Deckblatts stand der Name des Hotels. Also warf ich ihm kurzerhand den Block entgegen. Er fing ihn auf und nannte Carol unseren Aufenthaltsort. Nach einigem weiteren Gebrüll und Seufzern legte er auf.

»Wir werden in zehn Minuten abgeholt.»

»Na klasse.»

 

 

Es war nicht weiter verwunderlich, dass Marc, Nik und Lucky bereits im Studio des Radiosenders saßen, als wir den Raum betraten. Sie wirkten wesentlich frischer und ausgeschlafener als wir zwei.

»Gings lang gestern?», fragte Nik nicht wirklich interessiert. Er sah uns die durchzechte Nacht eindeutig an.

»Mmmhh», antwortete ich daher nur und ließ mich neben unseren Bandkollegen nieder. Zögerlich setzte sich nun auch Tom neben mich. Mir entging allerdings nicht, dass er zuvor den Hocker ein wenig von mir wegschob. Ich konnte seine Nervosität ja verstehen, aber war das nicht ein wenig übertrieben? Ich hatte ihn gestern garantiert nicht unkontrolliert angesprungen. Also würde ich das heute auch nicht tun. War er plötzlich zur Pussy mutiert oder was?

»Ja, Leute, heute hier live bei Antenne 108,3 Amblish. Die momentan wohl angesagteste Newcomerband Deutschlands. Gerade erst wurden sie mit zwei Bravo Ottos ausgezeichnet. Einmal als beste Band und dann gab es noch eine Auszeichnung für den leckersten Typen. Stimmt’s, Josh?«

Ich hörte das Gelaber des Radiomoderators nur am Rande und nickte ihm zustimmend zu.

»Du weißt schon, dass man dich im Radio nicht nicken sehen kann …«, flüsterte mir Marc zu und stieß mich sachte mit dem Ellenbogen in die Seite.

»Ja, zwei Bravo Ottos. Danke an unsere Fans, dass sie kräftig für uns abgestimmt haben. Das ist eine riesige Ehre für uns …«

Blablabla … Immer dieselben Sätze, bei jedem verdammten Interview. Jeden Tag und das seit Monaten. Wir sprachen über unser Album, über den Erfolg, über Fans, über unsere Tournee. Der Text saß. Er war uns von Carol eingeprügelt worden. Interessant wurde es erst, als der Moderator Fragen von einigen Fans ankündigte.

»Schon seit gestern durften eure Fans über Twitter und Facebook mit dem Hashtag #askamblish Fragen an euch stellen. Wir haben einige besonders Ausgefallene herausgesucht und die geben wir jetzt gleich mal live an euch weiter. Seid ihr bereit?» Er untermalte seine Frage mit einigen schrägen Tönen und einer Art Trommelwirbel. Typisch für einen übertrieben jugendlichen Radiosender.

»Klar sind wir bereit. Lass hören, was unsere Fans wissen möchten», gab ich selbstsicher zurück.

»Die erste Frage stammt von CrazyMuffin, die via Twitter schreibt: »Josh, welche Unterwäsche trägst du so und stehst du bei Frauen auf Dessous?« Die Frage ließ mich grinsen. Crazymuffin war garantiert ein 14-jähriges Mädchen, das noch nie einen Freund gehabt hatte und sich ihre Nächte damit versüßte, sich uns in Unterwäsche vorzustellen. Beziehungsweise mich.

»Ich trage natürlich nie Unterwäsche«, raunte ich mit meiner verführerischsten Stimme. Alle brachen in schallendes Gelächter aus. Vor allem der Moderator. Wie hieß der Kerl eigentlich? »Ach was … Meistens langweilige Boxershorts. Mädels, ich bin doch auch nur ein normaler Kerl. Und bei Frauen habe ich natürlich nichts gegen hübsche Dessous, wobei ich sie nackt bevorzuge.« Der Moderator verstärkte den erotischen Effekt meiner Antwort mit ein paar quietschenden Geräuschen und dem Sound einer stöhnenden Frau. Was war das hier noch mal für ein Sender? Ich kannte ja diese radiotypischen Töne, aber der Typ hier übertrieb echt maßlos. Oder lag es daran, dass die Wirkung der Drogen nachließ? Dann war ich nämlich gereizt und ziemlich schnell genervt.

Tom rechts neben mir war ungewohnt ruhig. Ich stieß ihn mit dem Ellenbogen an und gab ihm mit Blicken zu verstehen, dass er sich jetzt zusammenreißen sollte. Er zuckte daraufhin allerdings nur erschrocken zusammen und schaute mich mit zusammengezogenen Augenbrauen böse an. Auch gut. Idiot!

»Die nächste Frage geht an Marc. Du bist ja schon seit einiger Zeit in festen Händen. Wie ist das denn so mit den ganzen Groupies? Fällt es da nicht schwer, treu zu bleiben?«

Marc lehnte sich gelassen zum Mikrofon vor und lachte.

»Das fällt mir ganz und gar nicht schwer. Wenn man seine große Liebe gefunden hat, dann braucht man niemand anderen mehr.« Wir untermalten seine schnulzige Antwort mit einem gehässiges »Oooooh« und brachen dann erneut in schallendes Gelächter aus. Naja, alle außer Tom. Der war ja aber auch nur körperlich hier.

»Okay Jungs, was haltet ihr von Piercings und Tattoos? Das will die liebe Kadda auf Facebook wissen. Wer möchte das beantworten? Lucky vielleicht? Du warst bislang so ruhig.«

»Ich kann natürlich nur für mich sprechen, aber ich mag es. Also außer riesige Totenköpfe im Gesicht oder Spinnen am Hals … sowas muss echt nicht sein.»

»Verständlich, und dann kommen wir auch schon zur nächsten Frage von amblishgirl90. Sie schreibt: Hey Jungs, habt ihr schon mal homosexuelle Erfahrungen gemacht? Tom, willst du dazu vielleicht etwas sagen?«

Tom saß da, wie vom Blitz getroffen. Ich biss die Zähne fest zusammen. Entweder würde ich gleich in schallendes Gelächter oder in Tränen ausbrechen. Das durfte doch alles nicht wahr sein. Ich funkelte ihn von der Seite an. Er war blass. Ungesund blass. Er fuhr sich mit beiden Händen hektisch durch sein eh schon wirres Haar und starrte mich dann verstört an. Ich riss die Augen schockiert auf. Er wollte doch wohl etwa nichts sagen? Hatte er jetzt vollkommen den Verstand verloren?

»Tom?« Der Moderator wurde langsam ungeduldig.

»Dadadadas, ach … das ist doch …« Er räusperte sich mehrfach und fuhr sich ein weiteres Mal durchs Haar. »Ähm, also …«

»Wir sind uns darüber im Klaren, dass viele unserer Fans aus der homosexuellen Szene stammen. Wie wir so swingen … naja … findet es doch einfach heraus.« Zum Glück sprang Nik mit einer äußerst coolen und geheimnisvollen Antwort ein und rettete so die Situation. Er erntete einen johlenden Laut des Moderators, den er mit einigen Tiergeräuschen untermalte. Warum auch immer.

»Habt ihr das gehört, liebe Zuhörer? Das war ein Angebot.«

Danach folgten noch einige belanglose Fragen, deren Antworten wir alle schon im Schlaf auswendig aufsagen konnten. Trotzdem war Tom wie ausgewechselt. Und das fiel auch den anderen auf. Sonst war er so souverän, selbstbewusst und mit allen Wassern gewaschen. Hatte ihn die letzte Nacht wirklich so verstört? Oder war ich zu ruhig? Wir wussten ja noch nicht einmal mit Sicherheit, was wirklich alles geschehen war. Oder konnte er sich vielleicht doch erinnern?

 

»Tom, bleib stehen!« Doch Tom hörte nicht auf meine Rufe und floh. Direkt, nachdem die letzte Frage beantwortet war und wir unseren aktuellen Song Acapella angestimmt hatten, war Tom aus dem Studio gestürmt. Aber ich konnte das nicht zulassen. Wir mussten das verdammt noch mal klären und aus der Welt schaffen. »Tom, du elender Vollidiot, bleib stehen!«

Ich griff nach dem Zipfel seines Ärmels und hielt ihn fest. Nun war er gezwungen, stehen zu bleiben, und sich zu mir umzudrehen. Seine Augen waren schockgeweitet.

»Fass mich nicht an, du dreckiger …« Ich gab ihm eine Ohrfeige. Es reichte einfach. Ich war hier doch nicht der alleinige Schuldige. Musste ich mich da beleidigen lassen?

»Tom, reiß dich jetzt einfach zusammen. Wir haben Scheiße gebaut. Wir haben’s übertrieben. Das war’s. Okay? Das ist doch jedem schon mal passiert …« Ich glaubte mir zwar selbst nicht so ganz, aber jetzt ging es erst mal darum, Tom wieder zur Vernunft zu bringen. Und zwar bevor er alles kaputtmachte.

»Josh, ich will dich im Moment nicht sehen. Ich …« Er schüttelte den Kopf und starrte dann einen Punkt an der Decke an. »Ich kann dich gerade einfach nicht ertragen, okay?«

»Nein du Arsch, das ist nicht okay. Gib mir nicht die Schuld daran!«

»Tu ich nicht!«

»Dann behandle mich nicht so! Wir sind Bandkollegen. Ein Team.«

»Lass mir einfach ein bisschen Zeit.«

Daraufhin riss er sich von mir los, lief den Flur entlang und ließ mich so stehen. Tom … der harte, abgebrühte, rücksichtslose Tom, war eben doch in Wirklichkeit ein kleines Sensibelchen. Ich hoffte nur, dass er sich wieder einkriegte. Hoffentlich hatte dieser dumme Ausrutscher nichts zwischen uns zerstört.

 

»Jungs, seid ihr fit?«

»Klar, Carol.«

Mittlerweile war ich wirklich wieder recht munter. Seit der durchzechten Nacht und dem überraschenden Erwachen waren zwei Tage vergangen. Mein Kreislauf beschwerte sich nicht mehr und mein Kopf hatte die pochenden Schmerzen auch vorerst eingestellt. Sämtliche legalen und illegalen Substanzen müssten sich also in der Zwischenzeit verflüchtigt haben.

Wie es Tom wohl so ging? Ich hatte keine Ahnung. Er mied mich, wich meinen Blicken aus und ging auch nicht an sein Telefon. Sollte er doch machen, was er wollte. Dass er sich tatsächlich so anstellen würde, hätte ich nie von ihm gedacht. Aber so kann man sich eben in einem Menschen täuschen.

Jetzt war allerdings der schlechteste Zeitpunkt, sich weiter Gedanken über Tom und unser seltsames Verhältnis zu machen. Und Verhältnis meinte ich natürlich im rein professionellen Sinne.

Die Vorband hatte gerade die letzten Töne angestimmt und kam uns gerade im Backstagebereich entgegen. Der Sänger schlug mit mir ein und hatte ein breites Lächeln im Gesicht.

»Geiles Publikum, Jungs. Viel Spaß!« Der Gitarrist, die Drummerin und der Bassist der Band folgten ihrem Sänger und  verzogen sich allesamt in ihre privaten Räume irgendwo weiter hinten. Jetzt hatten wir noch knapp zehn Minuten. Die Techniker bauten nun auf die Schnelle um. Unser Banner wurde im Hintergrund angebracht. Die Lichttechniker stellten sich auf unser Programm ein, unsere Instrumente wurden bereitgestellt und einem kurzen Soundcheck unterzogen.

Und dann war es so weit.

Wir hörten das Intro und nacheinander gingen Lucky, Tom, Marc und Nik auf die Bühne. Es folgte ein Knall und ich hörte den Anfang des ersten Songs. No Lovesong  – Der Hit, mit dem wir momentan Platz 1 in den Charts belegten. In vier Ländern!

Das war mein Einsatz.

Unter tosendem Applaus, viel Geschrei und Blitzlichtgewitter betrat ich die Bühne. Tausende leuchtende Smartphones wurden in die Luft gehalten. Dann richteten sich alle Scheinwerfer auf mich, blendeten, versperrten mir die Sicht auf das Publikum. Doch ich hörte es. Von überall ertönte mein Name. Dann begann ich zu singen und die Show begann.

Wie immer lieferten wir ab.

Ein perfekter Auftritt.

 

Wir stürmten siebzig Minuten später von der Bühne und bekamen Backstage direkt kühles, erfrischendes Bier in die Hand gedrückt. Sogar Carol stieß mit uns an, zwar mit einer Cola Zero, aber immerhin. Auch sie schien zufrieden mit uns und unserer Leistung zu sein. Ich wischte mir mit einem Handtuch den Schweiß von der Stirn und gab Marc neben mir ein High Five. Das war es, wofür ich lebte. Die Musik. Die Konzerte in ausverkauften Hallen. Ich ging wieder voll in meinem Hochgefühl auf. Mein Herz raste noch immer und ließ Endorphine durch meine Blutbahn rasen. Wenn es mir immer so gehen würde, dann wären Drogen unnötig. Diese Euphorie hielt allerdings nie lange an. Meist kam der Dämpfer schnell.

»Tom, geiler Auftritt!« Ich legte ihm einen Arm um die Schultern und hielt ihm meine Bierflasche entgegen. »Prost!« Niemand hatte mit seiner Reaktion gerechnet. Dumm wie ich war, ich am wenigsten. Er schubste mich brutal von sich, sodass ich gegen Lucky stolperte, der vor Überraschung sein Bier ausspuckte. Meines schäumte dafür über und versaute meine neuen Schuhe. Na klasse.

»Fass mich nicht an«, schrie er wie ein Wahnsinniger mit hochrotem Kopf.

»Bist du jetzt komplett am Abspacken, oder was? Alter, reiß dich mal zusammen!« Ich war stinksauer und fixierte Tom mit meinem zornigsten Blick. Seine Augen wirkten müde und waren blutunterlaufen. Wann hatte er das letzte Mal eine Nacht lang durchgeschlafen? Er sah echt fertig aus. Tom ging einen Schritt auf mich zu und packte mich grob am Kragen.

»Reiß du dich mal zusammen! Das nächste Mal, wenn du mich anfasst, bekommste aufs Maul, hast du mich verstanden?« Ich nickte nur, denn Tom hatte mich mit seinem wahnsinnigen Blick echt eingeschüchtert. Wenn ich jetzt nicht ruhig blieb, würde er mir die Abreibung meines Lebens verpassen. Ich glaube, er wünschte sich in dem Moment, dass ich ihm einen Grund geben würde. Das sah ich ihm an. Die Hand an meinem Kragen zitterte und er hatte die Zähne vor Zorn fest zusammengebissen. Sein Kiefer war angespannt. Okay, Tom machte mir gerade wirklich Angst. Er starrte mich noch ein paar Sekunden schweigend an, dann stieß er mich von sich, drehte sich um und ging.

»Was geht denn mit dem?« Marc stand plötzlich hinter mir und schaute Tom fassungslos hinterher. »Der verhält sich schon die ganze Zeit so seltsam. Ist was passiert?«

»Kein Plan, der spinnt. Ich hau ab.« Marc schlug mir aufmunternd auf die Schulter und wuschelte mir einmal durchs Haar.

»Mach dir keinen Kopf, der Idiot kriegt sich wieder ein.« Marc klang zuversichtlich. Ich grinste gezwungen und nahm mir noch eine Flasche Bier aus dem Kasten hinter mir. Für den Weg.

»Jo, Marc, passt schon. Bis morgen dann …«

»Zwölf Uhr im Bandhaus, komm pünktlich! Wenn wir fleißig proben, dürfen wir abends auch ein wenig feiern.«

»Klar, Ciao.«

 

 

Die Probe lief beschissen.

Richtig beschissen!

Wir kamen irgendwie nicht richtig voran. Und ja, es war meine Schuld. Ich war nicht ganz da. Körperlich war ich zwar anwesend, aber das wars dann auch schon. Ich hatte Texthänger, versemmelte Töne und verpasste Einsätze. Das volle Programm. Wie ein Anfänger.

»Okay Jungs, so macht das keinen Bock, ich geh eine rauchen.« Nik legte genervt seine Gitarre zur Seite und stampfte aus dem Proberaum. Lucky warf seine Drumsticks daneben und tat es ihm gleich. Jetzt waren auch noch alle sauer auf mich. Als ob ich nicht schon genug Scheiße an der Backe hätte. Ich sank neben dem Mikro hinab, setzte mich auf den staubigen Boden und umklammerte meine Knie.

»Wollt ihr was trinken?« Ich schaute zu Marc, der neben mir Stand und zu mir hinabblickte. Der einzige Freund, den ich hatte. Und wenn ich nicht aufpasste, würde ich es mir mit ihm auch noch versauen. Was war nur los mit mir? Die ganze Sache mit Tom, das schlechte Gewissen Marc gegenüber wegen Inga … Ich war vollkommen neben der Spur. Ich wusste nicht, wann es mir das letzte Mal so schlecht ging. Ich wusste nicht, wann ich mich das letzte Mal so sehr nach Drogen gesehnt hatte. Und das war scheiße. »Josh?«

»Ne Coke, bitte.« Marc nickte und fuhr sich mit der rechten Hand durchs Haar. »Alles okay bei dir?«

»Ja, Mann …« Ich wollte mich gar nicht so genervt anhören. Ich wusste ja, dass sich Marc nur Sorgen machte und mir ansah, dass etwas nicht stimmte. Er kannte mich zu gut und zu lange. Wenn ich nicht mal mehr die Musik auf die Reihe bekam, dann lief irgendetwas gewaltig schief. Aber Marc nickte nur und verließ den Proberaum dann ebenfalls. Sollte er doch draußen mit den Anderen über mich ablästern. Mit mir war heute eh nichts anzufangen. Ich nervte mich selbst.

»Verdammt!« Ich sprang auf und kickte eine leere Wasserflasche vor mir weg, die lautstark gegen einen Verstärker knallte. »Fuck!« Ich würde mich am liebsten selbst boxen. Aber eigentlich war es ja nicht alleine meine Schuld. Immerhin hatte ich ja versucht, das Problem aus der Welt zu schaffen. Ich hatte mehrfach das Gespräch mit ihm gesucht. Nicht ich war hier die Pussy!

»Du bist schuld!« Ich drehte mich abrupt zu Tom um, der unbeeindruckt hinter mir saß und mich nicht mal eines Blickes würdigte.

»Fresse!«

Es reichte. Ich sprang über den Verstärker und eine Kiste Bier, bis ich Tom in seiner kleinen Nische erreichte. Dieses Mal war ich es, der ihn am Kragen packte und ihn in die Höhe zog. Bis ich ihm in die Augen sehen konnte.

»Verdammt Tom, das geht so nicht. Wir müssen das klären.«

»Du kannst das nicht einfach klären und aus der Welt schaffen. Weil es verdammt noch mal da ist und zwischen uns steht!«, schrie er mir ins Gesicht.

»Aber wir sind in einer Band. Kollegen. Wir machen so alles kaputt. Gerade jetzt, wo wir endlich erfolgreich sind. Kannst du es nicht einfach gut sein lassen. Es vergessen?«

»Was vergessen? Ich kann mich an so gut wie nichts erinnern. Ich weiß ja nicht mal, ob mein Arsch noch Jungfrau ist oder ob du blöder Wichser mich gefickt hast!« Seine harten Worte erschraken mich. Zumal ich nicht geahnt hatte, dass er sich in seinem Ego wirklich so angegriffen fühlte. Denn das war es, was ich in seinem Gesicht sah. Kränkung.

»Und wenn schon … das wird nie jemand erfahren. Hoffe ich zumindest. Ich mache mir viel mehr Gedanken darüber, was Marc sagen würde, wenn er …«

»Bitte was?« Plötzlich stand Lucky in der Tür. In der Hand hielt er eine Flasche Cola. Sein Mund stand vor Überraschung sperrangelweit offen. »Hab ich das gerade richtig gehört?« Ich sprang drei Schritte nach hinten und brachte Abstand zwischen Tom und mich. Tom sackte wieder auf seinem Hocker zusammen und schien unter Schock zu stehen. Zumindest sah er so aus, als würde er gleich ohnmächtig werden.

»Ähm Lucky … was genau hast du ähm … seit wann stehst du schon …«

»Tom, du bist schwul?«

»Nein, verdammt!« Tom schrie ihm die Worte entgegen und hatte schon wieder diesen panischen Gesichtsausdruck. »Kein bisschen!«

»Tom, ist doch nicht schlimm.« Lucky zuckte mit den Schultern und dachte wohl, er musste jetzt Verständnis zeigen oder so. Aber das war dermaßen fehlangebracht. Das war alles so absurd. Alles hier!

»Lucky, lass stecken. Wir haben keinen Plan, was in der Nacht abgegangen ist.«

»Außerdem waren wir nicht alleine, ein Mädel war auch dabei, also war das keine Homo-Sache, okay?«, brach es geradezu aus Tom heraus. Lucky verzog ehrfürchtig das Gesicht und pfiff zwischen den Zähnen.

»Ihr Tiere, ein Dreier also …« Was genau war eigentlich mit dem schüchternen Lucky los? Hatte er gerade tatsächlich Respekt vor uns? Ich musste grinsen, was Tom schon wieder zornig dreinblicken ließ.

»Ja Josh, du findest das lustig. Für dich ist das ein Spiel, oder?«

Lucky stellte sich zwischen uns. Er spürte, dass Tom schon wieder kurz vorm Explodieren war.

»Tom, da ist doch nichts Schlimmes dran, das macht doch jeder mal.« Tom schaute Lucky an, als ob er ein Gespenst wäre. Oder etwas anderes Übernatürliches. Weil ein »das macht doch jeder mal« aus Luckys Mund ziemlich seltsam und mehr als unerwartet war.

»Ach haltet doch euer Maul! Beide!«

Daraufhin ging er und ließ mich mit Lucky zurück.

»Und du kannst dich wirklich an nichts mehr erinnern?« Ich zog eine Augenbraue in die Höhe und betrachtete Lucky von der Seite. Natürlich wusste ich keine Details. Nur Kleinigkeiten. Kurze Sequenzen. Berührungen, Geräusche, nichts Genaues. Alles war unscharf und irgendwie weit entfernt. Surreal.

»Nichts«, log ich.

Er nickte nur und boxte mir mit einem verständnisvollen Gesichtsausdruck auf die Schulter. Dann gab er mir die Cola Flasche, die er schon die ganze Zeit bei sich trug.

»Von Marc, er fährt mit Lisa noch runter Bier holen.«

»Bier hört sich gut an.« Lucky grinste und kramte dann nach seinem Handy, das vibrierte. Ich sah das Display aufleuchten. Er nahm das Telefonat entgegen, nickte mir kurz zu und verließ dann den Raum. Ob er wohl eine Freundin hatte? Ich zuckte mit den Achseln, öffnete die Cola und nahm einen Schluck. Naja … wenn er es uns erzählen wollte, würde er irgendwann von sich aus mit ihr hier ankommen. Oder eben nicht. Ich seufzte und leerte die Coke zur Hälfte und drehte den Deckel wieder zu.

Momentan lief alles aus dem Ruder. Ich hasste das! Das tat mir nicht gut. Ich brauchte geregelte Abläufe, ein bisschen heile Welt. Dazu gehörten meine Bandkollegen und die Musik. Ich hatte aber gerade das Gefühl, dass das alles auf der Kippe stand.

Und wo stand ich?

 

Wie spät es wohl mittlerweile war?

Ich saß hinter dem Bandhaus auf dem Boden. Unter mir hatte ich einen Karton ausgebreitet, damit ich mir nicht meinen Arsch und zudem auch noch die Eier abfror. Doch eigentlich spürte ich die Kälte kaum. Was wohl an der halben Flasche Jack Daniels lag, die ich intus hatte. Und zusätzlich noch so um die zehn Schnäpse. Irgendwas gift-grünes, das Nik mitgebracht hatte und nach Pfefferminz schmeckte. Naja … und dann noch ein paar Bier. Oh Mann … wenn ich etwas tat, dann richtig.

Drinnen wurde gefeiert. Ich hörte Musik. Irgendein Vollidiot hatte unser Album aufgelegt. Wer war Narzisst genug, um sich seine eigene Musik anzuhören? Ich musste grinsen und schnaubte belustigt.

Garantiert Tom.

Wobei … Von seinem übermäßigen Selbstvertrauen war in den letzten Tagen nicht mehr viel übrig geblieben. Dann war es wahrscheinlich Lisa, oder am Ende sogar Inga. Denn auch sie war heute auf dieser kleinen intimen Feier aufgetaucht. Was für mich Anlass genug war, mich abzuschießen. Ich lehnte mich zurück. Das nasse Gras war kalt und pikste mich an den Ohren. Aber das war mir egal. Ich betrachtete die Sterne, aber irgendwie konnten die mich heute auch nicht beruhigen. Das könnte wohl nur eine Sache. Und ich hatte mir geschworen, es mit den Drogen erst mal sein zu lassen! Der Absturz mit Tom war ja wohl Warnung genug gewesen.

»Scheiß Pardy, ey!«

Ich erschrak. Tom stand plötzlich neben mir und kickte mir sachte mit der Schuhspitze in die Seite.

»Scheiß Party«, gab ich ihm recht und setzte mich etwas auf. Ich hatte ein seltsames Gefühl dabei, ihm so ausgeliefert zu sein. Am Ende würde er mich doch noch hier zusammentreten. Tom war manchmal unberechenbar und ich zu besoffen, um mich zu wehren.

Doch Tom setzte sich neben mich. Er musste wohl ebenfalls ziemlich gebechert haben. Sein Blick war glasig und die Flasche in seiner Hand sprach Bände.

»Is das Wodka?« Die braune Färbung gab mir Rätsel auf, daher wollte ich lieber mal nachfragen.

»Mit bissi Cola, damits nicht allsu scheiße schmeggt, willste?« Er hielt mir die Flasche entgegen und ich griff dankbar zu. Ich nahm einen kräftigen Schluck und wischte mir danach den Mund mit dem Ärmel meines Mantels ab.

»Viel liewer würd ich jetzt was kiffen«, sagte Tom und sprach mir dabei aus der Seele. Ich nickte zustimmend. Wir blickten beide in die Ferne, sahen aber nichts, außer ein paar Bäume im näheren Umkreis. Dahinter war nur Dunkelheit. Als wäre die Welt um uns untergegangen und nur noch dieses kleine Fleckchen Erde war bewohnt.

»Awer wir solltns liewer lassn. Letztes Mal hattn wir noch Glück, dass Carol nix jemerkt hat.«

»Wir hattn also Glück?« Tom lachte mit einem verächtlichen Unterton auf und trank wieder von der braunen Flüssigkeit. »Glück …« Er schüttelte den Kopf und seufzte laut auf.

Ich sagte nichts. Ich hätte auch nicht gewusst, was. Eigentlich war alles gesagt. Ich würde es jetzt einfach gerne darauf beruhen lassen und fertig! Wir konnten es nun mal nicht ändern. Die Sache war gegessen.

»Weißu, was mich so ferdich macht?«

Ich schaute Tom von der Seite an und zuckte mit den Achseln.

»Diese scheiß Unjewissheit!« Ich zog eine Augenbraue nach oben und wartete geduldig auf weitere Erklärungen. Wir beide tranken nochmals einen kräftigen Schluck. Ich den ekelhaften amerikanischen Whiskey, er seine widerliche Wodka-Cola-Plörre. Tom rülpste leise und fuhr dann fort.

»Ich möchts doch nur wissn. Mich erinnern. Einfach Jewissheit ham, dann kann ich auch damit lebn … irrendwie … vielleicht …« Gegen Ende wurden seine Worte immer leiser und undeutlicher. Ich nickte, da ich ihn verstand. Für mich war das nicht so das Problem, aber vielleicht, weil es mich einfach nicht so sehr beschäftigte. Weil ich es eigentlich nicht so schlimm fand. Es wäre zwar auch kein Grund für Luftsprünge, aber, um ehrlich zu sein, fand ich den Gedanken, mit Tom im Bett gelandet zu sein, nicht so abartig, dass er mir schlaflose Nächte bereiten würde. Das lag aber möglicherweise auch daran, dass ich beim Thema Sex schon immer etwas offener war. Von Anfang an habe ich mir mehr Gedanken über Inga und damit über Marc gemacht. Das mit Tom war okay. Was auch immer da gelaufen war, ich konnte damit leben.

»Awer vielleicht gibts ja eine Möchlichkeit … also vielleicht könn nwa uns ja doch noch an alls erinnern, wir müssn nur unser Hirn ausdricksn.«

»Also ich geb grad alls, um mein Hirn außer Jefecht su setzn.« Ich lachte kurz und tippe auf die nun fast leere Flasche Jacky. Tom stöhnte genervt und boxte mich unsanft in die Seite.

»Ich meins ernst … also hör mal su«, er drehte sich zu mir, sodass wir uns genau gegenüber saßen. Sein Oberkörper wankte wie ein Fähnchen im Wind hin und her. Er war mindestens genauso voll wie ich.

»Sprich«, forderte ich ihn auf und stieß dabei geräuschvoll mit meiner Flasche gegen seine.

»Sach jetzt ersmal nix und hör mir nur su. Ich denk, dass wa uns wieder erinnern, wenn was wiederholn.« Ich riss meine Augen überrascht auf. »Nich so, wie du denkst … ich mein, ich weiß ja auch nich … vielleicht einfach nur nen Kuss oder so.« Ich war mir nicht sicher, aber ich meinte, einen Hauch Röte auf seinen Wangen erkennen zu können. Das konnte aber auch am Alkohol liegen. Er schaute an mir vorbei. Irgendwohin in die Ferne. Ich starrte ihn weiter an und wartete darauf, dass er das alles als doofen Scherz enttarnte, wagte aber nicht, etwas zu sagen oder gar zu lachen. Ein falsches Wort und ich hätte wieder seine Faust im Gesicht. Dessen war ich mir sicher.

»Was sagsu?« Nun lag sein glasiger Blick wieder auf mir und ich? Ich nickte einfach nur. Denn irgendwie hörte sich das in meinem betrunkenen Kopf auch alles logisch an. Dem Hirn etwas Futter geben und dadurch vielleicht wieder die richtigen Rädchen in Bewegung bringen. Tom nickte ebenso und beugte sich dann so blitzschnell nach vorne, dass ich gar keine Chance gehabt hätte, ihm zu entkommen.

Unsere Lippen knallten schon fast brutal aufeinander. Tom packte mich im Nacken und nahm sofort an Geschwindigkeit auf. Ich versuchte irgendwie mitzuhalten, was nicht gerade einfach war. Meine Reaktionszeit war um einiges runtergesetzt. Ich spürte, dass er seine Lippen öffnete. Unsere Zähne stießen unangenehm zusammen und unsere Zungen berührten sich. Alles war seltsam feucht und asynchron. Der Geschmack, eine Mischung aus Wodka und Whiskey, verwirrte mich und machte mich schwindlig. Alles war so unkoordiniert und fast schon lustig. Einige Sekunden ließen wir unseren Zungen freien Lauf, bis Tom mich von sich stieß und sich den Mund mit den Handrücken abwischte.

Dann trafen sich unsere Blicke und wir starrten und skeptisch an.

»Neeeee!«

Wir schüttelten beiden den Kopf und lachten laut los.

»Alter, ich dacht echt, dassu besser küssen kanns. Bei den gansn Weibsjeschichtn«, neckte ich ihn.

»Spinnsu? Ich bin der ungekrönte Kuss-Tschämpjen. Du bis  voll de Schlabber-Spasst«

»Nix da, du hasts voll nich drauf!« Wir lachten beide und stießen dann nochmal mit unseren Flaschen an, die wir anschließend in einem Zug leerten.

»Ich steh auf Tiddn, das is mir spädestens jetzt klar jewordn!«

»Glüggwunsch, Tom! Du bis nun endlich wieder janz offisiell heterooo.«

»Warich schon die janze Zeit.«

»Jaja, is klar …«

»Ihr zwei Turteltäubchen seid ja mal wieder echt putzig.« Wir schauten uns um und erblickten Inga. Tom rutschte von mir weg und hob beide Hände wie nach einem Foul beim Fußball. Ganz nach dem Motto »Ich hab nichts gemacht«.

Ich kicherte.

»Is nich das, wonachs …« Inga schüttelte nur den Kopf und lachte.

»Regt euch doch mal ab, ich erzähl nichts weiter. Viel Spaß noch, ihr zwei.« Daraufhin drehte sie sich mit wehendem Rock um und ging zurück ins Bandhaus.

»Fuck, die wird mich jetzt für den Rest meines Lebns für nen Homo haltn.

»Gibt Schlimmeres.«

»Pffft …«

 

 

Und die Moral von der Geschichte?

Am Ende war es uns dann doch ziemlich egal. Wir konnten uns immer noch nicht an die berüchtigte Nacht erinnern. Wir hätten natürlich auch einfach nochmal Inga fragen können, aber eigentlich war es vielleicht besser so. Für mich spielte es keine Rolle. Was wir aus der ganzen Misere mitnahmen, war die Tatsache, dass Drogen böse waren. Richtig böse! Ich hatte seitdem nichts mehr genommen. Also, außer dem legalen Zeug wie Alkohol und so. Tom kiffte immer noch ab und an, aber den harten Stoff hatte er, soweit ich wusste, nicht mehr angefasst. Ich glaube, seine Angst vor einem weiteren Blackout war einfach viel zu groß. Verständlich.

Unsere Freundschaft hingegen war unverändert.

Seltsam, außergewöhnlich, manchmal distanziert, aber tief.

 

 

»Tom, gehst du heute Abend auch auf die Party?«

»Hatte ich eigentlich vor. Ist immerhin mein Cousin.«

»Holst du mich ab, dann könnten wir gemeinsam hin?«

»Nee, ich hab schon ein Date. Also gibt’s heute keine Homo-Action«, sagte er mit einem teuflischen Schmunzeln im Gesicht.

Ich grinste. Mittlerweile war das so eine Art Insider zwischen uns. Wir konnten darüber lachen. Noch vor einigen Wochen hätte ich nie gedacht, dass Tom überhaupt jemals darüber Witze machen würde. Aber Tom war eben unberechenbar.

»Und welchem Kerl datest du heute?«

»Kerl … Pustekuchen … ich treffe mich mit Inga. «

Ich staunte nicht schlecht.

»Mit DER Inga?«

»Jap, anscheinend hat sie Interesse an mir oder sie macht sich Hoffnungen auf einen schwulen besten Freund. Mal sehen. Dann werde ich sie mit meinen Qualitäten wohl vom Gegenteil überzeugen müssen.« Tom zog die Augenbrauen anzüglich nach oben und grinste.

So wie ich Tom kannte, würde er bei ihr landen. Tom bekam immer das, was er wollte. Und eines musste man ihm lassen: Die Weiber flogen auf ihn!

Und ich? Ich würde wohl trotzdem zu der Party gehen. An einem freien Abend alleine zu Hause zu sitzen war ziemlich deprimierend. Ein paar kühle Bier in netter Gesellschaft war da definitiv die bessere Alternative. Und wer weiß … Vielleicht waren ja auch ein paar hübsche Mädchen da. Keine Groupies. Von denen sah ich auf Tour schon mehr als genug. Das war höchstens was fürs Bett, nicht fürs Herz. Ich brauchte jemanden, der mich als Mensch mochte, nicht als Popstar. Irgendwann würde ich so jemanden finden. Bestimmt.

Mal schauen, was der Abend so bringen mochte. Ich war bereit für das nächste Abenteuer.

 

9 Kommentare
  1. Michi sagte:

    Na dann möchte ich gerne mein Glück versuchen, Danke für die Chance: ich finde romantische Geschichten toll…und ein signiertes Print wäre super….l.g Michi

    Antworten
  2. Nadine sagte:

    Jetzt hab ich mal ne Ahnung, wie so eine Fan Fiktion aussehen kann. Es ist schon komisch, wie aus einem Buch, das man gelesen hat, plötzlich ne andere Handlung wird. Ist aber gut umgesetzt. Was nicht alles unter Drogen passieren kann… oder auch nicht… es bleibt ja offen… super gemacht.

    Inga ist die Schwägerin von Marc. Danke für das Gewinnspiel.

    Antworten
  3. Anja Nehaus sagte:

    Sehr genial geschrieben. Ich habe bis zum Schluss gerätselt, aber die Lösung, die die beiden für sich gefunden haben, hat so einfach gepasst. Mir hat auch gefallen, dass auf die Auswirkungen von Drogen hier indirekt hingewiesen wird. Gerade junge Leser sollten erkennen, dass es eben nicht cool ist, sich dermaßen abzuschießen, um ein paar ausgelassene Stunden zu erleben.
    Zur gestellten Frage: Inga ist die Schwester von Lisa ( Marcs Frau )
    Ich würde mich riesig über das Print von Josh und Emma freuen. Vielen Dank für die tolle Chance.
    Lieben Gruß Anja

    Antworten
  4. Linnea sagte:

    Die Geschichte hat mir sehr gut gefallen.
    Ich hätte sehr gerne noch mehr davon gelesen. Die Geschichte macht richtig Lust auf das Buch.

    Lösung:Lisa ist mit Inga vewandt.

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